Wie man das Gesundheitswesen mithilfe einer klaren Vision und OKR revolutionieren kann mit Dr. Djordje Nikolic von consus clinicmanagement
Marco Alberti
Dr. Djordje Nikolic weiß, was nötig ist, um Krankenhäuser in die Gewinnzone zu bringen. Mit dem Ziel, Beratungsangebote zu schaffen, die er sich in seiner aktiven Zeit als Geschäftsführer in Kliniken verschiedener Versorgungsstufen selbst gewünscht hätte, gründete er 2012 consus clinicmanagement. Das Unternehmen zählt zu den bundesweit größten Dienstleistern im Bereich des Krankenhausmanagements und verfügt neben dem Firmensitz in Freiburg im Breisgau über fünf weitere Standorte (Hamburg, Berlin, Wuppertal, Stuttgart und Münster).
Um innovative Ideen im Unternehmen besser zum Erfolg führen zu können, suchte Djordje nach einem geeigneten Framework – und fand es in OKR. Im Interview mit Murakamy unterzieht er das Modell einem gründlichen Check-Up: Er diagnostiziert, welche Aha-Erlebnisse es gab, seitdem consus clinicmanagement mit OKRs operiert, welche die wichtigsten Learnings bei der Einführung waren und von welchem Nutzen seine Organisation nun profitiert.
Murakamy: Anders als eine klassische Unternehmensberatung hat consus clinicmanagement zum einen eine sehr fokussierte Branchenexpertise und gleichzeitig ein sehr spannendes unternehmerisches Modell!
Dr. Djordje Nikolic: Wir sind fokussiert auf das Krankenhaus als Leistungserbringer von Gesundheitsdienstleistungen. Unsere Idee war es, eine Konzernstruktur für Krankenhäuser zur Verfügung zu stellen und diese mit unserem Wissen zu unterstützen. Mit dem Tag des Auftragsbeginns an wollen wir uns abkömmlich machen und die Häuser in die Lage versetzen, auch ohne uns zurechtkommen, so dass sie sich wirklich ausschließlich auf die Medizin konzentrieren können. Und wenn sie doch mal wieder etwas Unterstützung brauchen, dann für sie da zu sein. Aber mehr als Backup und Train-the-Trainer-Modell und nicht so, dass sie einen Bereich outsourcen und uns dann die nächsten fünf Jahre nicht mehr loswerden…
Uns zeichnen drei Dinge aus. Erstens: Manpower! Wir wissen, dass wir diese an Stellen haben, wo normalerweise Mangelware an Qualifikation herrscht. Zweitens: Technischer Support! Und vor allem auch IT-Support. Wir haben eine eigene Entwicklungsabteilung und mittlerweile auch ein KI-Team, das sehr gut mit Daten umgehen kann. Drittens: Wissensvermittlung! Wir verfügen über eine eigene Akademie, die mittlerweile eine der größten Anbieter von Seminaren in Deutschland im Gesundheitswesen ist. Wir wollen unser Wissen sofort zurückspiegeln und es nicht für uns behalten. Das ist bei klassischen Beratungsunternehmen oft anders. Es gibt so viele Krankenhäuser, die Unterstützung brauchen; wir graben uns da also nicht selbst das Wasser ab.
M: Wie ist es dir und deinem Team gelungen, consus clinicmanagement mit dem Konzept, Krankenhäusern bei der dauerhaften Erlössicherung zu helfen, zwei Jahre nach Unternehmensgründung als Marktführer zu etablieren?
DN: Durch unseren Fokus darauf, dass das, was medizinisch erbracht wurde, auch korrekt und vollständig abgerechnet wird, wurden wir schnell überrannt. Das ist ein No-Brainer, der sich eigentlich von selbst verkauft. Der Markt war damals noch sehr unreif und wir sind über das Netzwerk des alten Krankenhausträgers, bei dem viele von uns früher tätig waren, sehr schnell an Aufträge gekommen. Das hat in dem Ausmaß und in dieser Herangehensweise zuvor vorher in Deutschland noch niemand gemacht.
M: Vergessen viele einfach, ihre Leistungen abzurechnen und bleiben dann auf ihren Kosten sitzen oder wie muss man sich das als Laie vorstellen?
DN: In Deutschland gibt es einen Abrechnungskatalog, der denjenigen belohnt, der sehr akribisch dokumentiert, was er tut. Vereinfacht setzt sich das aus zwei Dingen zusammen: Aus der vollständigen Erfassung der Diagnosen und der genauen Dokumentation, was in der Behandlung medizinisch erbracht wurde! Dieses System bedarf einer tiefen Kenntnis der Medizin als auch der Abrechnungsmethodik. Und das ist das Grundproblem, denn diese Abrechner unterliegen keiner standardisierten Ausbildung in Deutschland. Wir bieten so einen Ausbildungsgang mittlerweile an. Man nennt sie Kodierfachkräfte; sie kodieren sozusagen Erlöse auf Grundlage der Patientenakte.
Wir gehen in Kliniken rein und holen denen regelmäßig siebenstellige Mehrerlöse, also Millionenbeträge – einfach nur dadurch, dass die das nun korrekt abrechnen. Das läuft ja voll ins Ergebnis. Und wenn du diese Geschichte erzählst und auf der gegenüberliegenden Seite sitzen die Geschäftsführer und sagen: „Ja, ich hab das Abrechnungssystem auch nie wirklich in der Tiefe kapiert. Könnt ihr das machen?“ Dann haben wir einen Auftrag! (Lacht.)
M: Ihr seid seit einiger Zeit auf extremem Wachstumskurs. Man könnte also sagen: „Es läuft eigentlich!“ Was hat dich als Gründer und Geschäftsführer dazu bewogen, OKRs als Management-Modell zu implementieren?
DN: Dafür gab es zwei Treiber. Erstens: Die Mitarbeiter haben voller Ideen gebrannt! Mir war stets wichtig, dass sie sich auch wirklich austoben können. Dann haben wir Vieles begonnen und irgendwann kippte aber die Motivation in Richtung Frustration, weil man zwar alles angefangen, aber nicht zu Ende gebracht hat. Ich habe mich gefragt: „Nach welchem Kriterium lassen wir alle eigentlich losrennen?“ Und: „Wie bekommen Unternehmen wie Google es hin, ihre Brain-Power so zu kanalisieren, dass dabei fertige Produkte herauskommen – und zwar in den Innovationszyklen, die sie haben?“
Der zweite Antrieb war, dass ich merkte, das Unternehmen läuft viel zu zentralistisch über meinen Kopf – und das ist natürlich ein wirtschaftliches sowie unternehmerisches Risiko. Ich habe überlegt, wie ich es hinbekomme, dass eine Kommunikations- und Wissensvermittlungsstruktur im Unternehmen herrscht, so dass ich auch abkömmlich bin. Ich bin der Gründer, aber ich darf nicht den Wert des Unternehmens darstellen!
Vor zweieinhalb Jahren habe ich dann im Urlaub auf YouTube ein Video über OKRs gesehen – und mir sofort gedacht: „Du bist ja so ein Idiot! Wie denn auch sonst?“ (Lacht.) Durch das OKR-Modell kommunizieren wir jetzt total transparent. Jeder weiß, wohin wir uns mit dem Unternehmen entwickeln wollen – und mit welchen Mitteln das geschieht. Das wirklich Entscheidende: Dass ich weiß, woran wir gerade arbeiten und das ganze Team weiß, womit ich gerade rechne!
M: Gleich zu Beginn der ersten Gespräche wurden die Themen Vision, Mission und Strategie diskutiert. Wie wichtig ist es deiner Meinung nach für einen gelungenen Change-Prozess, einen erfahrenen Coach ins Boot zu holen?
DN: Marco als Person war da schon ein ausschlaggebender Punkt. Er hat mich über seine YouTube-Videos wirklich erreicht. Ich hatte das Gefühl, er steht voll für seine Sache und hat etwas Inspirierendes. Und ich finde es an dieser Stelle gut, wenn du jemanden mit einer gewinnenden Art hast, der das Team von seiner Idee dieses Managementsystems überzeugt. Bloß weil ich für die Einführung gebrannt habe und dadurch einen gewissen Informationsvorsprung hatte, ist es ja so, dass ich im Alltag selbst jemand bin, der innerhalb der OKR-Strukturen leben muss. Und diverse Fehler vor mir hatte, genau wie alle anderen auch.
Ein Coach ist der Stachel im Fleisch und jemand, der den Leuten sagt: „Wenn ihr das soundso macht, werdet ihr nicht weiterkommen!“ Jetzt ist eigentlich die Zeit, in der wir uns auch von Marco lösen könnten, weil die Methodik einigermaßen implementiert ist. Aber ich finde ihn einfach immer noch total bereichernd.
M: Welches sind die größten Learnings aus dem nicht immer ganz schmerzfreien Prozess, eine Vision bis zu den Strategien noch mal einer ergebnisoffenen Diskussion zu unterziehen?
DN: Verbindlichkeit, Transparenz und Zielsetzung! Auch, wenn wir alle in die gleiche Richtung wollen, stellt sich plötzlich doch heraus, dass der eine oder andere doch gar nicht so eins ist mit dem, was dem anderen wichtig ist. Die Leute reden auch nicht zwangsläufig miteinander. Ich war echt erschüttert, wie schlecht zum Teil der Austausch war, obwohl ich dachte, er wäre gut. Ich war der Einzige, der gut informiert war, weil alle mit mir gesprochen haben und nicht untereinander. Aber nur eine saubere und transparente Kommunikationsstruktur führt zu klaren gegenseitigen Erwartungen!
Und seit wir einen Fahrplan erstellen, was wir uns fürs nächste Quartal vornehmen, verzetteln wir uns weniger, weil ein Fokus gesetzt wird. Mein Team darf auch klar sagen: „Djordje, in dem Quartal schaffen wir das nicht, dann gefährden wir die anderen Sachen!“ Daraus hat sich auch eine sehr hohe Arbeitszufriedenheit ergeben.
M: Auf Basis der Strategien habt ihr dann im ersten Schritt OKRs für das nächste Quartal definiert. Was waren die größten Learnings in der Anfangsphase der OKRs?
DN: Man muss erst einmal lernen, sein eigenes Arbeitspensum objektivierbar zu machen – und auch richtig einzuschätzen. Bei der Zielsetzung gab es vor allem zwei Arten von Fehleinschätzungen: Die eine war viel zu pessimistisch. Jemand, der immer Bestnoten kassieren will, schätzt sich lieber schlechter ein, damit er ein Ziel auch ja erreicht. Die andere war viel zu optimistisch. Leute, die sich aufgrund von zu viel Ehrgeiz überschätzt und deshalb kein realistisches Maß gefunden haben.
Das war ein sehr großes und wichtiges Learning, denn das ist ja das fundamentale Basiswerkzeug, einschätzen zu können, wieviel Arbeit pro Zeiteinheit ich mir prospektiv vornehmen kann.
M: Ein Prozess, bei dem man sich auch eingesteht, Fehler machen zu dürfen. Und je öfter man pro Quartal die neuen OKRs definiert, umso geübter wird man mit der Zeit…
DN: Ganz genau. Ein wichtiges Learning war auch, dass wir gemerkt haben, wie sehr dann doch dein eigenes Projekt, das du planst, davon abhängt, dass du andere aus dem Team für deine Zwecke benötigst. Plötzlich habe ich OKR-Ziele, wo ich sage, ich brauche Person XY da ganz eng mit drin. Aber die Person hat vielleicht nicht noch extra 20 Manntage dafür übrig und müsste dazu auf andere Sachen verzichten. Jetzt greift hier das Räderwerk ineinander und es muss priorisiert werden. Jemand muss dann etwas rausstreichen, was er eigentlich vorhatte, wenn etwas fürs Unternehmen wichtiger ist. Wenn das alle konsentieren, sind alle total einverstanden, inklusive dir selbst. Dass ich gerade über deine Ressourcen verfüge, weil du merkst, dass das einen hohen Nutzen für das Unternehmen hat und umgekehrt genau das Gleiche. Sonst frustet man sich gegenseitig.
M: Einige Durchläufe später fällt es den meisten Unternehmen und ihren Mitarbeitern in der Führungsmannschaft aber immer noch nicht ganz leicht, die richtigen OKRs für das kommende Quartal zu finden. Woran, glaubst du, liegt das?
DN: Die Unternehmen, die OKRs einführen, sind ja eher insgesamt beweglich und es verändert sich viel häufiger etwas als beispielsweise in einer Behörde. Du wirst stets konfrontiert damit, zu sagen, ok, von Quartal zu Quartal gibt es neue Impulse. Du musst immer wieder mit dir selbst und deinem Team ins Sparring gehen, alles auf den Prüfstand stellen und dich fragen: „Was mache ich morgen? Was ist wirklich das Schlaueste?“
Dieses Zu-Ende-Denken ist wirklich anstrengend und zum Teil sogar entwaffnend, wenn du diese fast schon simplen Warum-Fragen beantworten musst, die du dann ehrlich gesagt oftmals auch gar nicht beantworten kannst. Ich glaube, das wird immer schwer bleiben bei den OKRs, zu sagen, warum du etwas eigentlich machst und das der Strategie des Unternehmens dient. Die Objectives und Key Results messbar und ehrgeizig zu formulieren, ist gar nicht so leicht. Und an dieser „Debatte“ nehmen ja alle Führungskräfte des Unternehmens teil. Diese Feinjustierung findet alleine durch die Diskussion statt, wo man hinwill – und deshalb ist es wichtig, dass du quartalsweise darüber sprichst.
M: In deiner Organisation sind zum einen Kundenprojekte, als auch die Entwicklung eigener Produkte und Services vereint. Gibt es spezielle Herausforderungen dabei, Projekte in OKRs abzubilden?
DN: Interne Projekte, die abgeschlossen sind, bekommen wir ziemlich gut dargestellt. Weil wir uns dann committed haben, dass wir dieses Projekt auch angehen und wir keinen externen Einschlussgrößen unterliegen. Wenn wir jetzt eine Klinik haben, kann es sein, dass der Geschäftsführer im Laufe eines Auftrags weg ist oder ein neuer Vorstand berufen wird, der sagt, ich möchte keinen externen Dienstleister. Das ist dann ein Auftrag, der sich durch einen externen Einfluss verändert, den wir nicht steuern können.
M: Inwiefern hat sich die Denkweise der Mitarbeiter zu dem klassischen Projektgeschäft durch die Einführung der OKRs verändert?
DN: Das hat sich extrem verändert, weil wir super viele Entwicklungen – gerade im Bereich BI und IT – hatten, die zu 90 Prozent fertig waren und das reicht den Meisten oft. Zwar fand man dann, dass es ja eigentlich fertig ist, jedoch konnte man es aber keinem Kunden geben, weil noch ein paar Bugs drin waren und es nur für interne Zwecke nutzen… Dahingehend hat es schon etwas geändert, dass wir uns fragen: „Was ist die Zielsetzung, die wir bei einer Entwicklung haben?“ Und diese dann auch verfolgt und vollendet werden muss. Das ist ein Riesenunterschied, zu sagen, 90 Prozent des Marathons sind wir gelaufen und bei Kilometer 38 brechen wir ab. Wir wollen aber durch die Ziellinie, die nach 42 Kilometern kommt. Und wenn man sich das von Anfang an vornimmt, projektiert man auch anders.
M: Wie weit ist der Veränderungsprozess im Unternehmen bisher fortgeschritten? Was war die größte Herausforderung dabei?
DN: Die Schwierigkeit ist, wenn du im Unternehmen Teams hast, die bisher total eigenständig gearbeitet und sich dadurch eine gewisse „Blackbox“ geschaffen haben, in der sie nach situativer Lust priorisieren konnten. Wenn du jetzt aber einem übergeordneten Ziel dienst, das in drei Monaten erreicht sein soll, musst du das ja
auf Unterziele herunterbrechen und dann fühlen sich diejenigen möglicherweise nicht mehr in ihrer Komfortzone, weil ihnen genauer auf die Finger geschaut wird.
Das ist eine Frage des Mindsets: Du musst versuchen, deine Mitspieler in die richtige Richtung zu bewegen! Ich glaube, es ist eine der größten Herausforderungen, das gesamte Team mitzukriegen und nicht nur diejenigen, mit denen du im Alltag sowieso zu tun hast. Und dass diejenigen das nicht als totales Drangsalieren oder Einschränken empfinden, weil sie auf einmal etwas vorgegeben bekommen, sondern dass sie die Ziele im Auge haben und übrigens auch selbst deklinieren, was ihnen wichtig ist. Sich einbringen, so dass man darüber sprechen kann, was wirklich zählt und was nicht. Damit auch nichts übersehen wird. Das ist natürlich anstrengend und eine große Herausforderung, wenn nicht sogar der größte Stolperstein, den es meines Erachtens bei der Einführung von OKRs gibt.
M: Was sind die größten Benefits, die die Einführung von OKRs bisher mit sich gebracht haben?
DN: Wenn du eine Größe überschritten hast und auch dezentral bist, kannst du bei der Kommunikation mehr falsch als richtig machen. Du kannst ja nicht einfach in die Hände klatschen uns sagen: „Hey Leute, kommt mal alle zusammen, ich habe etwas Wichtiges zu sagen!“ Der größte Benefit ist, dass durch OKRs alles total transparent wird, was dem Unternehmen wichtig ist und woran genau gerade gearbeitet wird. Das mit der Strategie wird am Anfang ein bisschen belächelt so nach dem Motto: „Jetzt machen wir den Quatsch halt mal mit…“ Aber wenn jeder sieht, dass ich das auch wirklich verfolge, um in den nächsten ein, zwei Jahren genau da hinzukommen, wo ich auch hinwill, sagen die: „Oh, ok, das hatten wir anders vermutet…“ Und das braucht Zeit.
Wenn das dann aber erst mal klar wird und sich da jeder einbringt und geguckt wird, ob eine Entwicklung nicht eine andere gefährdet usw., bist du da, wo du als Unternehmer hinwillst. Dass dein Team richtig mitdenkt und sich einbringt, finde ich einen der größten Benefits. Keiner kann mehr sagen: „Ach, der Djordje hat da immer so eine Agenda und keiner weiß, wo der genau hinwill.“, sondern jeder liest sich die gesamte Strategie durch und ist informiert.
M: Wie hat sich deine ganz persönliche Sichtweise auf das Thema Führung von Mitarbeitern und „moderne Arbeitswelten“ verändert?
DN: Ehrlich gesagt bei mir wahrscheinlich noch am wenigsten, weil ich, als ich noch im starren System der Krankenhauslandschaft war, eigentlich immer selbst versucht habe, die Chefärzte und Abteilungsleiter zu Unternehmern ihrer geführten Abteilungen zu machen sowie die Pflegedienstleitungen, etc. Ich habe den Leuten schon immer eine lange Leine gelassen und eher aufgepasst, dass sie das nicht missbrauchen oder auch zu gucken, sie damit nicht zu überfordern. Jetzt hatte ich ja das große Glück, dass ich mir selbst ein Team zusammencasten konnte, das nur aus Wunschkandidaten besteht. Ich überlege ja nicht: „Welchen Bereich wollen wir anbieten?“ und suche dann mal jemanden. Wenn ich nicht direkt meine Wunschperson zu einem Bereich finde, bieten wir das auch nicht an. Das ist eine einmalige Glückssituation.
Auch, dass du den Leuten sagst, was die Erwartungen sind und sie etwas wirklich vollkommen eigenständig aufbauen können, du aber jederzeit ansprechbar bist und alle Ressourcen inklusive Netzwerk und Kundenkontakte zur Verfügung stehen. Aber dass du einem Einkäufer z.B. nichts über Einkauf reinquatschst, ist eine Sache, die war bei mir vorher schon geprimed. Ich habe die Leute schon immer das machen lassen, wofür sie antreten und mich nicht als allmächtigen Alleswisser im Unternehmen platziert.
M: Was sind die größten Baustellen, die sich im Prozess der Strategie- und Zieldefinition noch vor euch befinden?
DN: Ich war neulich ziemlich erschüttert, als mich jemand aus dem Leitungsteam gefragt hat, ob er sich mal darüber mit mir austauschen kann, wie mein Fahrplan für die nächsten Jahre so aussieht. Ich antwortete: „Lies dir die Strategie doch einfach mal durch, dann weißt du es!“ Er meinte: „Die kenne ich, aber du hast doch wahrscheinlich trotzdem noch eine andere!“ Es muss ganz klar sein, dass es keine hidden agenda gibt, sondern die offizielle Unternehmensstrategie auch der Masterplan für die Ausrichtung des Unternehmens ist!
Die Strategie muss dann wirklich von allen nach Kräften verfolgt werden – und zwar nicht nur in den jeweiligen Bereichen, sondern auch aus Unternehmenssicht. Man muss mal seine Flughöhe verändern, sich rauszoomen, um sich vielleicht noch ein Stück weit mehr einbringen zu können. Das sind noch die Herausforderungen – ansonsten haben wir es, was Strategie und Zieldefinition betrifft, einigermaßen im Griff. Glaube ich. (Lacht.)
M: Gibt es zentrale unternehmerische Herausforderungen, die bisher aus deiner Sicht „ungelöst“ sind – also für welche spannenden Fragen des Unternehmer-Alltags fehlen euch noch gute und passende Antworten?
DN: Ich habe vor kurzem einen alten Weggefährten als zweiten Geschäftsführer mit ins Unternehmen genommen. Das passt super gut und dadurch ist die Unternehmenslücke, die wir hatten – was Risikoabwälzung auf Einzelperson betrifft – auch relativiert. Eine große Herausforderung ist, dass wir von Opportunitäten überrannt werden. Ob das Unternehmen sind, die von uns gekauft werden wollen, ob das Menschen und Teams sind, die gerne bei uns arbeiten möchten und wo wir wirklich langsam aufpassen müssen, dass wir uns nicht übernehmen und verzetteln. Nein sagen zu können und nicht gierig zu werden, ist glaube ich die größte Herausforderung, vor der wir stehen.
M: Wie würdest du die Rolle von Murakamy bei der langfristigen Begleitung beschreiben? Siehst du hier den Mehrwert vor allem in der methodischen Kompetenz zu einem Framework oder eher dem Blickwinkel eines „Beirates“?
DN: Das ist eine sehr gute Frage! Nicht nur methodisch. Da ist schon immer wieder das schlechte Gewissen, was die Methodik betrifft, wobei Marco da auch durchaus lange Leine und an einigen Stellen auch Unschärfen zulässt, wenn er merkt, dass es dem Gesamtprozess dient. Also insofern wird diese Funktion immer erhalten bleiben. Dieses kurzfristige, irdische Hier und Jetzt, auch mal jemanden in den Hintern zu treten und zu sagen: „Nee komm, das haben wir uns anders vorgenommen!“ Das halte ich für ganz wichtig, um nicht unkontrolliert abzudriften.
Das ist aber auch in der Person Marco Alberti begründet, denn ich finde, dass er immer sehr gut einen Finger in die Wunde legt. Wir haben jetzt auch jemanden über Marco genommen, der Social-Media-Kampagnen von uns pushen wird. Wo er gesagt hat: „Ihr habt das ganze Online-Geschäft alle nicht geblickt, nehmt es mir nicht übel. Ihr müsst dafür jemanden reinholen, ihr denkt viel zu klein!“ Marco bringt uns inhaltlich weiter, das ist super! Ich mag Typen, die einen inspirieren, weiterbringen und mit ihrem Weitblick den Tellerrand offenhalten. Insofern sehe ich unsere Zusammenarbeit auf jeden Fall eher langfristig.
M: Ihr garantiert euren Kunden ja sogar eine nachhaltige Erlössteigerung! Honorare werden nur dann berechnet, wenn auch ein messbarer Erfolg eintritt. Ist das nicht ein hohes Risiko?
DN: Das ist eine Sache, die mir ganz wichtig war. Sagen wir mal, einem Patienten wird ein Schrittmacher implantiert wird, wovon dieser aber überhaupt nicht profitiert, weil er gar nicht die Erkrankung dafür hat. Wieso nimmt man nicht das Gerät, das die gleiche Grundfunktionalität hat und weniger kostet? Das kriegst du ja sonst nicht refinanziert. An diesen Stellen gucken wir, dass die beste Medizin gemacht wird, aber an keiner Stelle – sowohl im Erlös als auch in den Kosten – unnötig Ressourcen verbraucht werden.
Wenn wir das nicht schaffen, dann haben wir es auch nicht verdient, auch nur einen Euro zu kassieren. Das unterscheidet uns ebenfalls von einer klassischen Unternehmensberatung, die sagt, das Konzept kostet schon mal 200.000 Euro und die Umsetzung noch mal 500.000 Euro. Wir finden: Wenn wir es nicht wirklich geschafft haben, das zu erreichen, wofür wir antreten, dann haben wir auch keinen Honoraranspruch.
M: Ihr seid euch also sicher, dass ihr auch immer Erfolg haben werdet?
DN: Wenn wir in Krankenhäuser reingehen, finden wir ziemlich sicher etwas. Wir wollen nicht beraten, damit es gut klingt und die Powerpoint gut aussieht, sondern es geht ausschließlich darum, dass der Ball im Tor landet! Das heißt, du brauchst wirklich Leute, die jede Spielsituation bereits erlebt haben.
Wir verhandeln mit den Kostenträgern und der Industrie, sprechen mit den Chefärzten und versuchen diese zu überzeugen, dass der OP-Bericht anders formuliert werden muss, wenn eine bestimmte Leistung gemacht wurde, damit sie auch von der Kodierfachkraft wieder identifiziert werden kann, usw. Wir gehen wirklich dahin, wo es weh tut. Prio 1: Die Qualität muss stimmen! Prio 2: Dabei dürfen keine Ressourcen verschleudert werden! Wenn man beides beherzt, kriegt man das ganz gut in den Griff.
M: Die tiefe medizinische Prägung deines Teams ist im Dienstleistungsumfeld des Medizincontrollings bundesweit einzigartig und gleichzeitig euer Alleinstellungsmerkmal und Erfolgsfaktor. Auch du bist nicht nur Betriebswirt, sondern auch selbst Mediziner…
DN: Genau, ich habe dann den Schwenk gemacht, in die Krankenhausverwaltung gewechselt und noch einen MBA gemacht. Mein Vater hat immer gesagt, ich bin auf die schiefe Bahn geraten. (Lacht.) Ich vereine also beide Welten.
Wir haben jetzt auch ein Architekten-Team, deren Leiter die letzten elf Jahre die Bau- und Projektsteuerung beim größten Krankenhausbau-Unternehmen Europas verantwortet hat. Es gibt niemanden in Deutschland, der mehr Krankenhäuser gebaut hat als er. Alles, was du an Lehrgeld zahlen musst, hat der längst hinter sich und wenn uns jetzt ein Krankenhaus anfragt und sagt, wir wollen über euch unseren Bau oder die Instandhaltung mal hinterfragen lassen, kennt er alle Kniffe und Tricks. Und greift auf ein eingespieltes Team zurück. Wir können da wirklich aus dem Vollen schöpfen, das ist unser Haupt-Asset.
Wir haben ein Riesenglück, dass wir solche Leute und so ein Netzwerk haben. Das gibt es in aller Bescheidenheit in Deutschland tatsächlich nirgendwo. Alle bei uns sind hochqualifizierte Spezialisten, die mindestens Krankenhäuser, wenn nicht sogar eine ganze Gruppe verantwortet haben.
M: Laut einer vor kurzem veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung sollte in Deutschland mehr als jedes zweite Krankenhaus in Deutschland geschlossen werden, damit die Versorgung der Patienten verbessert werden kann. Bestätigt so eine Studie, dass Organisationen wie eure total gebraucht werden?
DN: Das bestätigt auf jeden Fall, dass Kliniken häufig Beratungsbedarf haben, weil sie kaum den Blick über den Tellerrand schaffen. In der Studie und der Diskussion, die gerade geführt wird, geht es durchaus auch darum, welches Spektrum Krankenhäuser anbieten müssen. Ich würde einen Angehörigen niemals in jedes Krankenhaus, das legitimiert ist, Leistungen zu erbringen, hinempfehlen. Sondern in Zentren legen, wo ich weiß, dass die auch wirklich wissen, was da passiert, mit Komplikationen umgehen können und das Setting dafür gerüstet ist. Man wird aber fast gelyncht, wenn man offen darüber spricht, dass Krankenhäuser geschlossen werden müssten. In der Sache ist die Diskussion jedoch total zielführend und richtig.
Was uns so wahnsinnig ärgert und und mich wirklich antreibt: Wenn ich sehe, wie die Mittel verschwendet werden! Du lebst in einem Bereich vollkommen limitierter Ressourcen, hast eine Personal-, eine Finanzknappheit, und wenn du jetzt gut qualifizierte Krankenschwestern oder Ärzte mit völlig unsinnigen Aufgaben beschäftigst, weil ein Vorgang völlig desolat organisiert ist, macht mich das wahnsinnig. Diese Art der Verschwendung hat mit der Bertelsmann-Studie eigentlich erst einmal gar nichts zu tun, zeigt aber umso mehr, dass der Wind immer rauer wird und die Krankenhäuser ihre Hausaufgaben umso mehr machen müssen. Und da versuchen wir ihnen auf die Sprünge zu helfen!
M: Noch eine Frage, die uns aus eurer Branche besonders interessiert: Hältst du die OKR-Methode persönlich dafür geeignet, um Krankenhäuser zu managen und das Gesundheitssystem somit effizienter zu gestalten?
DN: Ja, aber es kommt auf die Flughöhe an, in welchem Ausmaß du es einführst – und mit welchen Personen. Wenn du es aus der Gesamtunternehmenssicht eines Krankenhauses siehst, und damit erst mal das Management meinst, geht das sicher total gut. Wenn du glaubst, damit in alle Bereiche gehen zu können und auch Schwester Gisela dafür zu begeistern, die 63 ist und sich total freut, wenn sie endlich in den Ruhestand gehen kann, wirst du damit nicht gewinnen. Und dich fürchte, dass die Mitarbeitervertretungen sagen: „Was ist das denn für eine Methode? Das ist nicht mitbestimmt, wir wurden nicht gefragt, kennen wir nicht.“ Da könnte es viele Grabenkämpfe an Stellen geben, wo du sie nicht haben willst...
Ich glaube, die Methodik greift völlig unabhängig davon, was man macht. Aber man darf sich nicht davon lösen, dass der Faktor Mensch darüber entscheidet, ob es funktionieren wird oder nicht.
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch und weiterhin viel Erfolg, Djordje!
Interview & Text: Anika Keller