Einführung von OKRs beim Experten für Massenverfahren TPR Legal mit Geschäftsführer Felix Rackwitz
Luisa Lazarovici
Anwalt und Jura-Unternehmer Felix Rackwitz hat mit TPR Legal eine Kanzlei 2.0 gegründet. Was TPR Legal von einer klassischen Kanzlei unterscheidet, warum es in seiner Kanzlei sinnvoll war OKRs einzuführen und was seine größten Herausforderungen waren, erzählt er im Interview.
TPR steht für Tech - Process - Resource und liefert technologiebasierte und prozessgesteuerte Lösungen, u.a. für das juristische Massengeschäft auf der Abwehrseite.
Geschäftsführer Felix Rackwitz hat schon vor Jahren (seit 2010) begonnen, sich mit der Art und Weise, wie Rechtsdienstleistung erbracht wird, auseinanderzusetzen und diese neu zu denken. Mit TPR Legal will er die digitale Transformation vorantreiben, um die Anforderungen und Erwartungen an innovative und effiziente Rechtsdienstleistung neu zu definieren und zu bedienen. Im Zentrum stehen hier das Handling von Volumen, Wirtschaftlichkeit, Rentabilität und transparente Leistungsmessung. Rackwitz ist davon überzeugt, dass mehr Umsatz nicht nur heißen kann, mehr Zeit zu verkaufen. Stoßen doch mit dieser klassischen Denk- und Arbeitsweise Kanzleien regelmäßig an ihre Grenzen. Aus diesem Grund beschäftigt sich TPR Legal damit, wie Rechtsdienstleistung erbracht wird und versucht unter Einbeziehung von Technik und der Auswertung von Daten, Lösungen zu finden, wie Dinge anders erbracht werden können.
Im Rahmen dieser Prozessveränderung, dem Aufbau einer neuen Infrastruktur und der Transformation von der händischen Leistung über Lösungen in Richtung Produktisierung hat Rackwitz sich für die Einführung von OKRs entschieden.
Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen und Herausforderungen bei der Einführung, die in seinem Fall zwischenzeitlich für jede Menge Aufregung gesorgt hat, aber am Ende zu einem umso positiveren Ergebnis.
Murakamy: Felix, erstmal würde man nicht davon ausgehen, dass eine Kanzlei und OKRs zusammen gedacht werden können. Was ist bei Euch anders?
Felix Rackwitz: Wir sind keine Anwaltskanzlei im klassischen Sinn. Wir haben ein Core Team, das sich mit der Art und Weise beschäftigt, wie juristische Dienstleistung erbracht wird - also tech enabled. Und dieses besteht eben nicht nur aus Juristen. Fachexpertise ist zwar wichtig – wir profitieren aber gerade davon auch mal mit fachfremder Brille auf die Erbringung von Rechtsdienstleistung schauen zu können. In den letzten Jahren waren wir für Unternehmen und Großkanzleien auf der Abwehrseite - in irgendwie gearteten Massenverfahren - tätig. Wir sind Problemlöser, in diesem Fall dafür, wie man Massenverfahren auf Abwehrseite führt (Beispiel: mit welchem System kann man 60.000 Verträge managen und wie integriert man dieses in bereits bestehende Prozesse bzw. wie müssen diese angepasst werden?). Zusätzlich arbeiten wir in den einzelnen Projekten mit bis zu 30 freien Anwälten zusammen, die dann auf unseren Systemen, die wir bauen und ständig verbessern, arbeiten und dadurch sehr viel wegschaffen können, und zwar mehr als in anderen Kanzleien.
M: Könntest Du vielleicht noch etwas genauer erläutern, warum OKRs bei klassischen Kanzleien weniger Sinn machen?
FR: Ich habe mich immer gewundert, warum man so wenig bis gar nichts über Kanzleien findet, die mit OKRs arbeiten. Meine Hypothese ist tatsächlich, wenn Dein Kerngeschäft Produktentwicklung ist, dann ist das OKR-Framework auf jeden Fall passend. Wenn Du Rechtsdienstleitung erbringst, dann hast Du per se in Projekten ein hohes Maß an repetitivem und insbesondere reguliertem „Tagesgeschäft“, und das ist eine große Herausforderung, wenn man mit OKRs arbeitet. Hier zu versuchen mit OKRs an den Stellschrauben zu drehen, ist ungefähr so spannend wie Gras beim Wachsen zuzusehen. Was bei uns anders ist, hat etwas mit der Masse bzw. mit der Art wie wir arbeiten, zu tun. Unser Ziel ist Standardisierung und Massen-individualisierte Produktion, ähnlich dem Modell des „Signature Sneakers“, den Du Dir aus vielen Varianten zusammen klicken kannst. Das in die Richtung machen wir in Jura, wenn wir in Massenverfahren tätig sind.
In klassischen Kanzleien sind Anwälte u.a. nach Practice Groups (z.B. Arbeitsrecht, Kapitalmarktrecht, Gesellschaftsrecht usw.) organisiert, und es fehlen die Brücken (das soll dort über Industrien passieren). Es gibt zwar auch Projekte, aber tatsächlich findet es eher individualisiert statt. Außerdem sind solche Kanzleien meist Partner-geführte Organisationen, d.h. dass die Gesellschafter zugleich auch in der Produktion sind. Und klassisch gesehen, denken diese Organisationen eher in Pyramiden und sind überwiegend Top-down und weniger Bottom-up geführt. Und das ist eine große Herausforderung, gerade in einem OKR-Workshop, wo man ein Company Set präsentiert, mit einer Linie, die dann auch unter Umständen mal über 2 Tage sehr kritisch hinterfragt und zerpflückt wird, das ist nichts, was in normalen Wirtschaftskanzleien üblich wäre. Wahrscheinlich.
Ich bin mir eben nicht sicher, ob OKR grundsätzlich für „klassische“ Kanzleien geeignet sind. Wenn Du dir aufgrund deines Geschäftsmodells durch Effizienzsteigerung den Umsatz verbauen würdest bzw. Du dir Top-Down sicher bist an den richtigen Dingen zu arbeiten und Bottom-Up ein Fremdwort ist, dann bleibt nur noch mit OKRs Dinge im Backoffice zu verbessern. Und nicht falsch verstehen – auch hier kann es funktionieren OKRs zu nutzen. Allerdings ist die Arbeit in diesen Bereichen größtenteils streng reguliert und somit weniger spannend in dem Kontext.
Wenn man sich aber damit beschäftigt, wie Rechtsdienstleistung eigentlich erbracht wird, wenn man sich mit Standardisierung, Prozessen und Organisationsstrukturen auseinandersetzt, ist OKR ein sehr passendes Tool.
M: Wie bist Du mit dem OKR Framework in Berührung gekommen? Und was war der Beweggrund, dieses bei Euch einzuführen?
FR: Unsere Spezialität hat sich darüber entwickelt, juristische Inhalte auf eine granulare Ebene herunterzubrechen, auf Tasks, und diese Tasks zu managen, um dann zu unterscheiden, was ist eigentlich eine juristische Entscheidung, und was ist keine. Und was keine juristische Aufgabe ist, sollte ein Jurist eigentlich auch nicht anfassen. Wir haben uns schon von Anfang an mit agilem Arbeiten und diversen Frameworks auseinandergesetzt, weil wir mit dem klassischen Kanzlei-Management nicht weitergekommen sind. Daneben wollten wir uns auch um weitere Baustellen kümmern: “Wie wollen wir uns neu aufstellen?”, “Wie können wir uns neu erfinden?”, “Wie können wir uns stetig verbessern?” und so sind wir auf das OKR-Framework gekommen. Dann sind wir den klassischen Weg gegangen, Ausbildung der Mitarbeiter:Innen, Video Tutorials, Workshops und parallel haben wir auch unsere Vision sowie Mission und unsere CI überarbeitet und neu erfunden.
M: Wenn wir gerade schon bei den organisatorischen Dingen sind, wo bildet Ihr Eure OKR Sets ab? Benutzt ihr ein bestimmtes Tool?
FR: Nicht direkt ein Tool, in dem alles wohnt. Das ist aus unserer Sicht auch nicht notwendig. Wir nutzen Miro für den Workshop zu Beginn des Quartals. Die Meetings im Regelbetrieb dokumentieren wir in BoxNotes. Die Sets an sich – inklusive einiger Zusatzinformationen wie deren Herleitung/Kontext – bilden wir in Smartsheet ab. Wichtig ist einfach, dass jeder auf alles Zugriff hat und wir wissen wo was zu finden ist. Das muss nicht „stylisch“ und „fancy“ sein – es muss nur funktionieren. Und das tut es.
M: Ihr seid jetzt im 3. Quartal seit der OKR Einführung. Wie liefen die ersten Monate?
FR: Wir sind sehr euphorisch ins 1. OKR Quartal gestartet, waren neugierig und wollten die Methode kennenlernen. Das 2. Quartal war dann ein totales Desaster. Marco sagte mal, dass große Läden 1-3 Jahre brauchen, bis das Ganze läuft, und wir dachten natürlich, wir sind so super, und schaffen das schneller. Heute verstehen wir diese Aussage und ja, ich kann sagen, es braucht so lange und es braucht den Willen zur Umsetzung und es braucht Durchhaltevermögen. Jetzt sind wir im 3. Quartal und ich würde sagen, wir sind auf einem sehr guten Weg.
M: Kannst Du uns noch etwas genauer erklären, was Eure speziellen Herausforderungen waren und was Ihr zwischen dem 2. und 3. Quartal verändert habt?
FR: Die große Herausforderung, die wir hatten, und das ist gleichzeitig auch die Stärke des Frameworks: Es deckt alles auf, was Du nicht an Hausaufgaben gemacht hast. Und das war bei uns im 2. Quartal so. Wie bereits kurz angesprochen hatten wir parallel vor einem Jahr angefangen, an unserer Vision und der Mission zu arbeiten und haben einen Wertekatalog erstellt. Durch die Einführung der OKRs haben wir festgestellt, dass unsere Vision eigentlich unsere Mission ist. Uns fehlte das langfristige Ziel, wo wir hinwollen, und was noch viel fataler war, es fehlten strategische Vektoren (Strategien). OKR als Operationalisierung der Strategie ist natürlich schwer erfolgreich umzusetzen, wenn klare Strategien fehlen. Das führte dazu, dass es uns in der Vorbereitung auf den Workshop zu Quartalsbeginn nicht gelungen, ist die richtigen Outcomes und Outputs zu finden. Wir versuchten es mit vereinten Kräften im Workshop – mit wenig Erfolg. Ein Learning was ich daraus weitergeben kann: Vorbereitung, und zwar richtig (Bottom-Up mit allem, was dazu gehört), ist die halbe Miete.
Für den Start des dritten Quartals haben wir uns mehr Zeit genommen, bzw. sind zeitlich vom „Optimalprozess“ etwas abgewichen. Auch das als Learning: Dass OKR funktioniert, ist mehrfach bewiesen. Dass es so - wie von Murakamy gelehrt - am besten funktioniert, glaube ich ebenfalls. Es geht aber nicht darum, hier irgendeinen Preis zu gewinnen. Wenn man mal abweichen muss, dann ist das in Ordnung – Hauptsache man nutzt die Zeit sinnvoll und zielgerichtet. So haben wir ungefähr 3-4 Wochen dafür verwendet, unsere Hausaufgaben zu machen. Haben reflektiert und angepasst, haben darüber gesprochen, wie wir Dinge anders und besser machen können und haben uns um die Themen innere Struktur, Hierarchie und Abläufe gekümmert. Hierarchie hier aber völlig wertfrei betrachtet. Es ging darum, wie Aufgabenpakete zerlegt und abgearbeitet werden und wie Informations- und Abstimmungsströme laufen. Im Nachhinein kann man sagen, wäre es nicht sinnvoller gewesen, erst die Hausaufgaben zu machen und dann das OKR-Framework einzuführen, aber das ist eine hypothetische Diskussion. Denn im Nachhinein ist man immer schlauer.
Ich bin trotzdem froh, dass wir damit angefangen haben, wir haben auch noch ein hartes Stück Arbeit vor uns, wir können jetzt aber sagen, dass wir für den Moment das komplette Paket - Vision, Mission, Werte, Struktur, Strategie - abgearbeitet haben und mit einer ganz anderen Ausrichtung und hoch motiviert in das neue Quartal gestartet sind, auf das alle jetzt richtig Lust haben. Das ist ganz toll.
Und ich weiß gar nicht, ob wir es so gut hätten machen können, ohne die Qualen und die schonungslose Offenlegung der Schwächen im 2. Quartal. Das Framework, vor allem in der Murakamy Interpretation, ist eine einzigartige Chance, sich selbst zu verändern und weiterzuentwickeln, wenn man bereit ist, den Preis des Schmerzes zu ertragen (lacht).
M: Das hört sich nach einem anstrengenden Prozess an, der sich aber wohl voll ausgezahlt hat. Was würdest Du nach Deiner Erfahrung einer befreundeten Unternehmer*in bei der Einführung von OKRs raten?
FR: Ich würde mit dem kompletten Paket starten. Ich wollte schnell ins “Doing” kommen und habe daher die Vorbereitung so kurz wie möglich gehalten, denn ein Buch über OKRs zu lesen, ist meiner Meinung nach genauso sinnhaft, wie ein Buch übers Schwimmen zu lesen. So lernt man es nicht. Aber im Nachhinein hätte ich den Prozess bis zur Einführung besser auch mit Murakamy durchlaufen sollen. Denn wenn die Basis nicht steht, können OKRs nicht wirksam sein und sorgen dadurch zu sehr viel Frust, weil sie nicht den erhofften Nutzen bringen. Manchmal bitten uns Leute ihnen das „OKR-Tool“ zu zeigen. Es ist aber nicht das Tool, sondern das Mindset. Und das muss man schaffen. Ich glaube, eine unserer großen Stärken ist unsere Kultur, die wir hier haben. Den Austausch und die Neugier, Dinge auszuprobieren. Das hat uns sehr geholfen.
M: Wie wirkt sich die Zusammenarbeit mit den freien Mitarbeitern:innen auf Eure OKR Sets aus? Bzw. wie sind die freien Mitarbeiter:innen eingebunden?
FR: Das OKR-Framework nutzen wir im gesamten Unternehmen – den größten Impact sehen wir derzeit jedoch vor allem in den Kernbereichen (Technical Support, Projektmanagement, Business Analyse, Software-Anwendungen, Learning & Development, Costumer Management). Die positiven Effekte bekommen unsere extern Anwälte somit zwar zu spüren, sie sind jedoch wenig bis gar nicht in den Prozess involviert. Es gibt aber Bindeglieder/ Personen, die über das Projektmanagement mehr eingebunden sind, und denen stellen wir auch die OKR-Sets vor, damit sie verstehen, warum wir so agieren, wie wir agieren und was wir erreichen wollen. Die tragen es dann in die Runde weiter. So sind zumindest alle abgeholt. Um die positiven Effekte nochmal aufzugreifen. Unsere externe Ressource arbeitet in den Prozessen und auf den Systemen welche wir mittels OKRs stetig optimieren um für sie den größten Nutzen rauszuholen. An dieser Stelle holen wir uns auch gerne Feedback und Ideen von ihnen als Nutzer:innen ab. Das fließt dann wiederum in den OKR-Erstellungsprozess mit ein. Am Ende geben wir aber nur den Rahmen vor in welchem gearbeitet wird – Jura dürfen und können sie dann doch selber am besten.
M: Das ist eine sehr agile Organisationsform. Gibt Euch das OKR-Framework hier einen inhaltlichen Rahmen?
FR: Das OKR-Framework passt extrem gut zu uns und dem Mindset, weil wir besser werden wollen, unabhängig davon, wo die Anregung herkommt. Das ist in klassischen Pyramiden-förmig organisierten Strukturen nicht so. Da es bei uns darum geht, die Art und Weise der Erbringung von Rechtsdienstleistung zu verbessern, ist das etwas anderes. Bei uns geht es um Problemlösungskompetenz. Und die haben nicht die Juristen erfunden. Und deswegen wollen wir andere Denkweisen mit ins Boot holen, die wollen wir mit einfließen lassen und das erlaubt OKR. Wenn man keine Lust darauf hat, dass man von der anderen Seite etwas gesagt bekommt, dann passt das Framework wahrscheinlich weniger. Ich bin zwar Anwalt und habe auch als Anwalt gearbeitet, aber ich war schon immer daran interessiert, Dinge anders und besser zu machen. Dazuzulernen, und damit meine ich nicht unbedingt juristisch.
M: Was ist Euer größter Benefit von OKRs?
FR: OKRs helfen uns, als Organisation besser zu werden, zu wachsen bzw. überhaupt wachstumsfähig zu werden. Das Framework gibt dem Ganzen eine extrem gute Struktur, die Orientierung, den Punkt am Horizont, wo man das Quartal hinlenken will. Und ich muss jetzt auch nicht mehr nachschauen, was meine O’s sind für dieses Quartal. Durch die intensive Auseinandersetzung sind die Themen allzeit präsent. Ich bin sehr froh, dass wir diesen Weg eingeschlagen haben, unabhängig davon, wo es uns als Organisation hinbringt, werden wir die OKRs auf jeden Fall mitnehmen und weiterführen. Das OKR Mindsets ist untrennbarer Bestandteil unserer Philosophie geworden.
Vielen Dank, lieber Felix, für diesen spannenden Einblick in Eure Erfahrungen mit dem OKR-Framework – und weiterhin viel Erfolg bei TPR Legal!
Interview & Text: Luisa Lazarovici