Die Erfahrungen mit der Einführung von OKR bei eprimo von Agile Lead Philipp Teipel
Marco Alberti
Philipp Teipel ist Leiter Controlling und Finanzen und Agile Lead bei eprimo, der zentralen Discount-Vertriebsgesellschaft der innogy AG und mit 1,6 Millionen Kunden einer von Deutschlands führenden Erdgas- und Stromanbieter im Privatkunden-Segment. Im Gespräch mit Murakamy berichtet der BWLer von der Neuausrichtung der eprimo durch die Einführung des OKR-Modells, den Herausforderungen, die es dabei zu meistern gilt, den Vorteilen von Fokussierung und Transparenz im Unternehmen sowie neu gewonnenen Energien dank einer agilen Aufbauorganisation.
Murakamy: 2016 begann eprimo mit der Einführung des Managements-Systems OKRs. Wie ist der Konzern darauf aufmerksam geworden?
Philipp Teipel: Über unseren CEO Jens Michael Peters, der nicht zuletzt durch seine Rolle als Head of Digital das Thema neue Arbeitsformen stark vorangetrieben hat. Bei mir schließt sich der Kreis insofern, weil ich mich auch viel mit Performance Management und Zielsetzungsthemen beschäftigt habe. In meinem Controller-Team hatte ich diese Maßnahme im Vorfeld bereits angeflogen, indem wir uns Quartalsziele gesetzt hatten. Wir waren zuvor zwar sehr erfolgreich unterwegs, wussten aber, dass die Veränderungen im Markt unser Geschäftsmodell auf Dauer angreifen würden. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, als Reaktion darauf proaktiv in einen gesamthaft angelegten digitalen Transformationsprozess zu gehen, in dem OKRs die große Klammer darstellen.
M: Welche Probleme wolltet ihr konkret mit OKRs lösen? Was hat euch dazu bewegt, die Themen Vision, Strategie und Führung im Unternehmen neu zu definieren?
PT: eprimo startete ursprünglich als Abfangjäger für Kunden, die in den anderen Gesellschaften innerhalb des damals noch RWE-Konzerns verlustig gehen. Wir legten einen steilen Wachstumspfad hin und schafften es 2013, eine schwarze Null zu schreiben. In den darauffolgenden zwei Jahren versuchten wir, das Geschäft erfolgreich weiter zu betreiben, sind aber an einen Punkt gekommen, an dem uns klar wurde, dass das mit den alten Mitteln nicht funktionieren würde. Wir probierten viel Neues, jedoch im gleichen Set-Up. Uns wurde schnell klar, dass es zu einer starken Defokussierung führt, diese Veränderungen in dem alten Rahmen unseres bestehendes Geschäftsmodells umzusetzen. Wir hatten einfach zu viele Bälle gleichzeitig in der Luft und suchten nach einer Lösung, wie wir von der Vision bis hin zur Operationalisierung einen neuen Rahmen kreieren können, der uns mehr Kraft gibt und Fokus schafft.
Nun setzen wir uns quartalsweise klare Ziele und bestimmen die Themen, auf die wir uns in den nächsten drei Monaten fokussieren und welche wir in Ruhe lassen wollen. Es passiert schnell, dass man sich verzettelt. Das kennt man ja sowohl aus dem Beruflichen als auch dem Privaten – gerade, wenn man sehr viele Ambitionen hat. Das ist ja das Problem. Wenn man nichts erreichen will, braucht man auch keine klaren Ziele... (Lacht.)
OKRs ermöglichen uns, unser Tagesgeschäft mit den Veränderungsthemen zusammenzubringen und dabei den Fokus zu behalten. Daneben spielen die Themen Transparenz und Alignment eine große Rolle. Unser Ziel war es, die unterschiedlichsten Bemühungen innerhalb unserer Organisation zusammenzuführen und da mit vereinten Kräften nach vorne zu gehen. Nicht mehr zu viele Bälle gleichzeitig in der Luft zu haben, sondern sich – von der Top-Unternehmensebene bis hin zum einzelnen Mitarbeiter – klar zu committen.
M: Gab es eine bestimmte Methodik, nach welcher sich eure Prioritäten ergeben haben? Wie lief die Definition der OKRs und die Formulierung eurer Unternehmensvision ab?
PT: Ehrlich gesagt haben wir daran schon recht lange „herumoperiert“. Es dauerte seine Zeit, bis wir erkannten, was sozusagen der „Nordstern“ unseres Unternehmens ist. Unseren Massive Transformative Purpose, den wir daraus abgeleitet hatten, haben wir schließlich noch einmal gereviewed, weil wir merkten, dass sich nicht die Wirkung entfaltet, die wir uns erhofft hatten. Also haben wir unsere Unternehmensvision noch einmal neu formuliert – und jetzt ist sie auch wirklich stimmig.
M: Inwiefern ist es euch gelungen, die Themen Vision, Mission und Strategie an eine kurzfristige, operative Planung anzuschließen?
PT: Ich würde mal sagen, wir sind immer noch dabei, das auszutarieren. Im Hinblick auf unser Kerngeschäft tun wir uns deutlich leichter damit, klare Ziele zu formulieren. Was Innovationsthemen betrifft, fällt uns das noch etwas schwerer. Das liegt aber weniger an der OKR-Methodik, als letztlich mehr daran, dass wir erst einmal die Voraussetzungen schaffen mussten und immer noch müssen, um diese Veränderungen auch umsetzen zu können.
Wir haben auf eine agile, operative Organisation umgestellt – kleine, schlanke Teams, die im Idealbild eine gewisse End-to-End-Veranwortung haben, wie man es aus Scrum kennt. Aber das sind Themen, bei denen man nicht von heute auf morgen den Schalter umlegen kann. Selbst, wenn man ambitioniert ist und sich Ziele setzt, Neues an den Start zu bringen, ist das schwierig, wenn man die Voraussetzungen dafür noch nicht geschaffen hat. Das ist ein Prozess, der einfach dauert. Aber OKRs haben uns in Summe schon viel gebracht.
M: Was für Veränderungen hat dieses agile Arbeiten in der Unternehmenskultur bisher hervorgerufen? Inwieweit profitiert eprimo davon?
PT: Durch die Organisationsstruktur sind wir nun stärker auf den Kunden ausgerichtet und besser in der Lage, Ziele über OKRs zu formulieren, die in der Erreichung auch besser einzelnen Teams zuzuordnen sind. In einer klassischen, hierarchischen Aufbauorganisation hat man zwar eine hohe Effizienz, aber wenn es um Zielthemen geht, die sehr stark daran ausgerichtet sind, etwas über einzelne Abteilungen zu erreichen, ist der Abstimmungsbedarf einfach zu hoch. Das haben wir schon deutlich reduziert. Leider lässt sich das wie gesagt nicht von heute auf morgen lösen. Man muss die Organisation in dieser neuen Struktur stetig weiterentwickeln, so dass noch weniger Abstimmbedarf zwischen den Teams notwendig ist. Aber da sind wir schon deutlich schlagkräftiger geworden und in der Lage, Ziele besser mit einzelnen Teams zu verknüpfen, die dann auch über die Ressourcen verfügen, diese innerhalb eines Quartals erreichen zu können.
M: Welche neuen Perspektiven eröffnen sich anhand der durch das OKR-Modell verbundenen Transparenz für die unternehmensinterne Kommunikation?
PT: Die Herausforderung ist, dass man, wenn man sehr ambitioniert ist und viel erreichen will, oft gar nicht merkt, was man eigentlich schon erreicht hat. Als wir verstärkt auf neue Themen gesetzt haben, war die Intransparenz schon recht hoch in der Mannschaft. Durch das Tool Confluence, das wir zur Verwaltung unserer OKRs nutzen, hat jeder einen super Überblick über die Ziele fürs nächste Quartal und ist darüber informiert, wer was macht und wo wir stehen. Das ist ein unglaublicher Fortschritt.
M: Und wie kommt das in der Unternehmenskultur an?
PT: Die Möglichkeit jedes einzelnen Mitarbeiters, seine Themen einzubringen und dadurch Autonomie und Selbstwirksamkeit zu erleben, kommt sehr positiv an. Da OKRs aber ein ziemlicher Eingriff in normale Routinen sind, die man so hat, ist man da schon auch vor eine Herausforderung gestellt. Die große Kunst ist, OKRs zu einer neuen Routine zu machen, die einem Energie gibt und nicht nimmt.
Auf dem Weg dahin erlebt man schon auch die eine oder andere Durststrecke. Am Anfang hat man die Hoffnung, dass es irgendwie leichtgängiger ist. Aber das ist einfach Teil des Prozesses. Einer der größten Fehler, den man bei OKRs machen kann, ist, zu perfektionistisch an die Sache ranzugehen. Denn dann wird man scheitern…
M: Eine gewisse Fehlertoleranz sollte vorhanden sein. Aber auf lange Sicht bedeutet die Fokussierung ja auch Entlastung und wirkt sich positiv auf das Stresslevel aus…
PT: Klar! Die klassische Unternehmenskultur ist ja viel mehrdimensionaler. Man überlegt sich, was will mein Chef, was will ich, was wollen andere im Umfeld, was ist jetzt günstig, was muss ich dafür tun, um gut auszusehen? Wenn zu viele Impulse gleichzeitig von außen auf einen einprasseln, geht schnell der Fokus verloren und man fühlt sich im Hamsterrad gefangen.
Die Organisationsstruktur muss passen und auch auf die Prozesse ausgerichtet sein. Wenn man das konsequent lebt und seine Leute auch wirklich in den richtigen Rahmen setzt und darin frei bewegen lässt, was die Zielerreichung angeht, hat man die Chance, dass man mit weniger Stress mehr erreicht. Gerade diese Überflutung von außen, die wir mit dieser Mehrdimensionalität durchlaufen haben, kann man durch OKRs sehr gut reduzieren.
M: Agile Führungsthemen stehen oft auch im Gegensatz zur klassischen Finanzplanung. In welchem Kontext siehst du das vor allem aus deiner Perspektive als Finanzexperte?
PT: Ein Unternehmen ist letztlich ein Zielerreichungszentrum. Als Ziel des Controllings gibt es manche Definitionen, die nur die Finanzziele ansteuern, aber es gibt auch andere, bei denen es darum geht, die gesamthaften Unternehmensziele zu steuern und transparent zu machen. Im digitalen Zeitalter sind OKRs die logische Weiterentwicklung der Unternehmenssteuerung von Peter Drucker, dem Pionier der modernen Management-Lehre. Ich sehe da keinerlei Widerspruch.
Seit ich BWL-Student war, beschäftige ich mich mit Themen der Unternehmenssteuerung. In den 90er und frühen 2000er Jahren wurde man mit dem Thema Balanced Scorecard „gejagt“; dabei ging es per se um das Problem, Vision und Strategie zu operationalisieren. Das Problem der klassischen Unternehmenssteuerung ist da zu sehr auf Finanzkennzahlen konzentriert. Um diese zu optimieren, braucht man erst mal Frühindikatoren im Sinne von Ursache-Wirkungsbeziehungen in unterschiedlichen Dimensionen, die man dann vermeintlich gemanaged hat. In den meisten Unternehmen wurde das aber zu kompliziert und hat nie so richtig Wirkung entfaltet. Und das, was Balanced Scorecard vom Anspruch her nie geschafft hat, verwirklichen heute OKRs. Weil das Modell deutlich dynamischer ist und eben nicht den Anspruch erhebt, Ursache- Wirkungsbeziehungen in einem eher statischen Rahmen abzubilden, sondern es darum geht, dass Teams Ziele formulieren. Und diese Teams und die Ziele, die sie erreichen, stehen dann noch mal im Einklang zueinander und zu den übergeordneten Unternehmenszielen und der Unternehmensstrategie. In Summe bekommt man da also einen anderen Dreh dran, weil man gewisse Dinge vereinfacht und gleichzeitig aber trotzdem diese Komplexität von einer Gesamtunternehmung greift, indem man die Ziellogik über ihren gesamten Rahmen spannt. Die OKR-Methode ist eine Lösung für ein Problem, das in der BWL schon lange bestanden und das man nie so richtig in den Griff bekommen hat.
Aber, wie schon gesagt, funktioniert das nur im Zusammenspiel mit einer entsprechenden Organisationsstruktur. Einer Struktur, in der Teams in der Lage sind, End-to-End in einer hohen Autonomie ihre Quartalsziele auch selbst erreichen zu können. Wenn man das agile Arbeiten in schlanken Teams mit der OKR-Methodik zusammenbringt und das sauber aufeinander ausrichtet, ist man im Vergleich zu klassisch aufgestellten Unternehmungen Lichtjahre voraus.
M: Wie präsent sind OKRs in deinem Arbeitsalltag und wie helfen sie dir bei der Verwendung deiner Ressourcen?
PT: Der Finanz-Bereich setzt sich auch agile Ziele. Und wir nehmen das Tagesgeschäft mit rein, um es kontinuierlich zu verbessern. Zum anderen haben wir auch immer wieder Themen, die an den Systemen, Prozessen und Strukturen einer Gestaltungsaufgabe bedingen. Da findet auch eine permanente Weiterentwicklung statt. Vor diesem Hintergrund sind OKRs kein Thema, das sich bei uns auf die operativen Funktionen beschränkt, sondern auch in den Unterstützungsfunktionen, den Querschnittsfunktionen ein fester Bestandteil ist.
M: Wie wichtig war bei der Einführung des OKR-Modells die Unterstützung durch einen OKR-Coach – und dadurch der „Blick von außen“?
PT: Sehr wichtig. (Lacht.) Das ist auf jeden Fall empfehlenswert! Man braucht jemanden, der von einer gewissen Objektivität heraus an die Dinge herangeht und weiß, was eine Organisation durchmacht, wenn sie ihre Unternehmens-DNA komplett neu beschreibt. Das OKR-Modell ist die wesentliche Säule beim Thema Performance Management. Wenn man diese neu einführt, bedeutet das so eine wesentliche Veränderung der Unternehmung, dass eine Unterstützung von außen zum Anschieben letztlich nicht ins Gewicht fällt – wenn man mal über die Kosten nachdenkt...
M: Und welche Rolle misst du dem OKR-Champion bei?
PT: Das ist schon eine zentrale Rolle, die ich sehr gerne wahrgenommen habe. Dabei hat Marco gecoacht dabei habe ich viele gelernt (lacht) und er auch ….. Der OKR-Champion ist aber auch sehr stark von dem Support durch die Kollegen auf der Führungsebene angewiesen. Die Bedeutung des „tone from the top“ kann man bei OKR nicht hoch genug einschätzen.
M: Konntet ihr durch den OKR-Prozess bereits messbare Ergebnisse erzielen? Inwiefern stellt die Definition von OKRs ein lohnendes Investment für Eprimo dar?
PT: Unser werthaltiger Wachstumspfad hat sich durch das OKR-Modell verstetigt. Im Vergleich zu vor zwei Jahren ist eprimo noch stabiler im Wachstum, was Kunden und Ebit betrifft. Das hat auf jeden Fall schon mal nicht geschadet. (Lacht.) Die Ziele, die wir uns pro Quartal gesetzt haben – Maßnahmen zum Beispiel, die darauf abzielen, die Prozesse zu digitalisieren, Kunden online zu supporten und ihnen bessere Prozesse zur Verfügung zu stellen, aber dabei auch Kosten einzusparen – konnten wir in vielen Themen auch erreichen. Da konnten wir schon gute Erfolge feiern.
M: Noch einmal zusammenfassend: Welches sind die drei wichtigsten Veränderungen, die durch den kompletten OKR-Prozess bei eprimo angestoßen wurden?
PT: Dazu gehört auf jeden Fall die starke Fokussierung. Dass wir klar formulieren, was sind die Themen der nächsten drei Monate? Was machen wir? Was machen wir nicht? Die Themen Transparenz und Alignment, die wir uns weiterhin davon erhofft haben, sind auch voll aufgegangen. Heute kann jeder im Confluence schauen, was die Unternehmensziele und was die Ziele der einzelnen Teams sind. Die Abstimmung der Ressourcen, also das Alignment im Sinne von „Sind die Ziele zueinander stimmig und sind die Ressourcen auch da?“ ist sukzessive verbessert worden.
Was das Mindset betrifft, denken wir im nicht in Maßnahmen, sondern fragen uns, was wir erreichen wollen und richten diese dann danach aus. Wenn man über Jahre in einer anderen Gedankenwelt „trainiert“ ist, ist das schon eine große Veränderung, die da stattfindet. Letztlich geht die Veränderung über OKR auch über den Einzelnen. Alle müssen ihre Denkmuster umstellen, wenn man in der OKR-Logik erfolgreich sein will.
M: Wenn dich ein anderer Unternehmer nach den größten Vorteilen fragt, die das OKR-Leadership-Modell eprimo bringt, was würdest du ihm antworten?
PT: Die größten Vorteile sind gleichzeitig die wichtigsten Veränderungen: Fokus, Transparenz, Alignment und Änderung im Mindset. Aber nur wer sät, erntet am Ende auch: Nur wenn alle das Modell mitspielen, sich jeder genau überlegt, welche Ziele er erreichen will und auch wirklich darauf hinarbeitet, entsteht am Ende eine ungeheure Energie.
M: Im wahrsten Sinne des Wortes bei eprimo! Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die Zukunft!
Wir hoffen, der Artikel kann ein paar hilfreiche Impulse geben! Unser Content ist immer darauf ausgerichtet, Fragen zu den Themen Vision, Strategie & OKR zu beantworten. Wir freuen uns über Feedback & Anregungen in den Kommentaren!